Wir schrieben uns fast jede Woche.

Ich schreibe seit meiner   Kindheit. In jungen Jahren war ich eher schüchtern und vermied es, vor mehreren Menschen zu sprechen. Also zog ich mich zurück und schrieb häufig meine Gedanken und auch meinen Ärger auf Papier. Danach fühlte ich mich besser und erleichtert. Ich hatte ab meinem 11. Lebensjahr einen sogenannten „Brieffreund“, was heute im digitalen Zeitalter schwer vorstellbar ist. Anlass war, dass wir beide Fußballanhänger unserer Heimatvereine waren und selbst auch schon beide aktiv in einem Club spielten. Wir schrieben uns fast   jede Woche, manchmal 15- 20 Seiten und diese „Schreibübung“ hielt sich über mehrere Jahre. Gespannt erwarteten wir die Post des Anderen und bald wurden auch viele persönliche Themen oder Probleme ausführlich ausgetauscht. Es war schon unser eigenes „soziales Mininetzwerk“, zwar aufwändig, aber irgendwie erfüllend. Vom wenigen Taschengeld musste man sich die Portokosten der großen, oft zusätzlich mit Zeitungsausschnitten aufgefüllten Kuverts absparen und der Fußweg zum nächsten Postamt war schon dadurch etwas Besonderes. Ein persönliches Kennenlernen fand dann Jahre später statt, als wir erstmals die knapp 700 km Distanz im gegenseitigen Wechsel zurücklegten. Ich stellte interessanterweise fest, dass das persönliche Treffen die so während der Woche aufblitzenden und dann niedergeschriebenen Gedanken keineswegs ersetzen konnte.

Mit wenigen Mausklicks.Wer hätte gedacht, dass ich heute, über 50 Jahre später mit wenigen Mausklicks weltweit verbunden sein kann und viele Menschen darauf warten, ihre Gedanken mit einer unabhängigen Person austauschen zu können, da sich im eigenen Umfeld keine Gelegenheit dazu ergibt oder persönliche Gründe  es erschweren, aktiv auf andere Menschen zuzugehen.

Tausende schriftlicher Ausführungen. Viel später nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt  und dem darauffolgenden Sozialpädagogikstudium in München bekam ich die Gelegenheit, Reportagen zu sozialen Brennpunkten in einer Großstadt zu erstellen und engagierte Hilfsorganisationen und Menschen vorzustellen. Beruflich musste ich in ununterbrochener Reihenfolge Gutachten,  Stellungnahmen und Einschätzungen zu Menschen und deren schwierige Situationen zu Papier  bringen, was mich auf dem Hintergrund pädagogischer, sozialpsychologischer und rechtlicher Kenntnisse äußerst herausforderte. Im Grunde genommen ging es immer um erhebliche, teilweise schicksalhafte Entscheidungen und Vorschläge zur Verbesserung äußerst schwieriger Lebenssituationen von Menschen.  Deshalb musste stark darauf geachtet werden, welche Worte zu wählen sind, um etwa Fakten von Vermutungen und eigenen Annahmen sorgfältig zu trennen und sich darüber im Klaren zu sein, dass eigene Lebenserfahrungen unbewusst zu Projektionen und vorschnellen Empfehlungen führen können.  In ungefähr drei Jahrzehnten sind wohl einige tausend solcher teilweise äußerst komplizierter schriftlicher Ausführungen, welche immer im Versuch, möglichst genau die gesamte Lebensrealität der Menschen darzustellen, irgendwann in den Archiven und verstaubten Akten von Gerichten und Behörden gelandet. Immer häufiger stellte ich irgendwann fest, dass bisweilen nichts oder nur oberflächlich gelesen wurde, wenn es bei den darauffolgenden Terminen, meist bei Gerichten und Behörden darum ging, die besten Lösungen vorzuschlagen. Es ist klar, dass ich mich bei besonders mühsamen Recherchen und stundenlangen Gesprächen mit betroffenen Menschen, dann nicht selten um diese Bemühungen betrogen fühlte und differenzierte Darstellungen zur Lebenswirklichkeit gar nicht erwünscht waren oder  dem Dauerdruck und der Ungeduld im Alltag geopfert werden sollten.

Gereimte Verse, die nachhaltig wirken.

So entwickelte sich die Form der Verdichtung, poetisch ausgedrückt „Dichtung“, verkleinert dargestellt als „Gedicht“.  Gewisse Erfahrungen in dieser verdichteten Kurzform darzustellen, reizte mich; Die Aufmerksamkeit auf den Inhalt durch eine gewisse spannende Vermeidung von Ermüdung für den Leser könnte ein guter Weg sein, um über wichtige Dinge des Lebens unkompliziert ins Gespräch zu kommen. Häufiger sind es dann nur gereimte Verse geworden, die nachhaltig wirken können und gar nicht dem Anspruch von  Lyrik und Poesie entsprechen müssen. Zunächst fast spielerisch der eigenen Verarbeitung dienend, konnte ich unvermutet eine Reihe von Diskussionen anstoßen, insbesondere in den Bereichen der „irren“ Psychiatrie und dem häufig völlig kollabierten Pflegesystem, da ich auch in diesen Feldern fast drei Jahrzehnte beruflich unterwegs war.

Ich möchte von Zeit zu Zeit einen Gedanken, einen Vers, ein Gedicht
auf diese Weise darstellen und freue mich über jede Reaktion, Anregung und vielleicht auch einen Erfahrungsaustausch.